Parallel zur Tagung des Deutschen Bundeswehrverbandes fand in Berlin die Bundeswehrtagung mit dem Minister und dem Generalinspekteur statt. Über allem schwebend ging es über die Zukunft der Bundeswehr und die Zeitenwende. Der Krieg in der Ukraine ruft Veränderungsbedarf hervor hinsichtlich Ausrüstungsplanung, aber auch Anpassung in der Vereinbarkeit von Familie/Dienst. Der Einsatz der Bundeswehr in der Landes- und Bündnisverteidigung verlangt komplettes Umdenken in der Struktur, Materialplanung und Einsatzbereitschaft des Soldaten. Konnte man in den vergangenen Jahren die Einsätze zeitlich relativ gut planen, so verändert die Kaltstartfähigkeit alles.
Dem Deutschen Bundeswehrverband ist es gelungen, trotz der parallelen Bundeswehrtagung, das Thema Vereinbarkeit von Familie/Dienst mit unterschiedlichen Referenten im Rahmen von Impulsvorträgen, Workshops und Podiumsdiskussionen sehr interessant zu machen.
Tagung „Vereinbarkeit von Familie und Dienst/Beruf“ des Deutschen BundeswehrVerbandes e. V.
08.11.2023
Nach einer kurzen Eröffnung und Begrüßung durch FKpt Marco Thiele (Vors. Marine) traf man sich, aufgeteilt in zwei Workshops mit den Themen:
- Neue Herausforderungen für Soldatenfamilien bei der Kinderbetreuung – ist die Bundeswehr vorbereitet?
- Der aktuelle Stand der Dinge – mit welchen Problemen müssen wir uns hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Dienst/Beruf beschäftigen?
Die herausgearbeiteten Punkte werden in einem jeweiligen Positionspapier zusammengefasst und den Mitgliedern des Deutschen Bundestages bereitgestellt.
Hier bereits zusammengefasst:
Zu Workshop 1:
- Das Thema wurde ausgeweitet auf die Kinderbetreuung und
- Der Workshop wurde in zwei Gruppen aufgeteilt:
- Herausforderungen für die Organisation
- Herausforderung für das Individuum, innere Haltung Soldat
Am Beispiel der „Brigade Litauen“ wurden folgende Fragen aufgeworfen, die dringend zu klären sind:
- Warum gehe ich nach Litauen mit der Familie? Gefährdungslage!
- Ist die medizinische Betreuung für Soldat und Familie gesichert?
- Klärung von Sprachausbildung, Sprachförderung?
- Sind Kindergärten, Grundschule und weiterführende Schulen vorhanden? Werden Schulabschlüsse in Deutschland anerkannt?
- Ist die Folgeverwendung im Inland gesichert? (Planbarkeit)
- Klärung der Arbeitsmöglichkeit für Partner/in?
- Finanzielle Absicherung? Eigentum? Versicherung? Rentenlücke?
- Ist eine Kinderbetreuung vorhanden?
- Klärung des Begriffs „Dauerhafte Stationierung“ oder „Dauerhafter Einsatz“ (z. B. 6 Monate und Rotation?)
- Was führt dazu, dass die Familie, der Soldat/die Soldatin glücklich ist?
- Werden Erziehungszeiten angerechnet, gibt es Elterngeld?
- Ist eine Evakuierung gesichert, wenn es zur Bedrohungslage kommt?
09.11.2023
Herausforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Dienst (Oberst Wüstner)
- Der wesentliche Faktor für die Einsatzbereitschaft ist der Mensch.
- Klärung von „Basics“ im Ministerium
- Die Grundmoral im Deutschen Bundeswehrverband steht auf Veränderung (neue Struktur notwendig?).
- Einsatzbereitschaft versus Familie (schnelle Reaktionen sind gefordert, Realität nicht mehr so planbar)
Impulsvortrag Vereinbarkeit von Familie und Dienst (OTL Hirschböck, BMVg bei der Beauftragten Familie und Dienst)
- Formulierung Vereinbarkeit von Familie/Dienst und Privatleben
- Vereinbarkeit versus Einsatzbereitschaft: Gewährleistung der größtmöglichen Vereinbarkeit von Familie/ Pflege und Dienst/Beruf
- Kinderbetreuung: Probleme melden, Betreuung an Lehreinrichtungen
- Mobile Arbeitsformen (zzt. ca. 23.000 Telearbeitende in der Bundeswehr)
- Vorsorgeregelung ist wichtig und in Erarbeitung – soll über den Sozialdienst an die Hand gegeben werden, auch Ausbildung soll es dazu geben
- Unterstützung vor Ort: Familienbetreuungszentren (FBZ) bzw. Familienbetreuungsstellen (FBSt), Betreuungsbüros, Patenfamilien
- Ausbau der finanziellen Unterstützung
- Besondere Betreuungserfordernisse
- Ausblick auf Brigade Litauen: Erkundungsreise wurde durchgeführt, man plant mit 200–250 Kindern für Kindergärten, Schule
- Idee eines „Home of Care“ (Haus der Betreuung): Ausbau des Projekts VARE, digitaler Austausch zum gegenseitigen Austausch als Informationsplattform
Austausch mit Abgeordneten aus dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages
(Nils Gründer (FDP), Merle Spellerberg (Die Grünen), Kerstin Vieregge (CDU))
- Zeitenwende versus Verlust an Personal
- Einrichtung von Kindergärten in der Bundeswehr (Problematik Bundes-Ländersache, Rotation und Versetzungen/Anmeldung)
- Sozialdienst muss gestärkt werden
- Im Ausschuss ist die Thematik „Personal“ nicht im Fokus, Klärung der Fürsorgepflicht
- Vorschlag: Annahme von Kindern an Schulen wie bei „Schaustellern“
- Man muss schneller werden; Handreichung „Einsatz“
Impulsvortrag Dr. phil. Gerhard Kümmel
- Gläserne Decke in der Bundeswehr?
- Durchführung der Studie „Rolle der Militärseelsorge“ (Vorstellung des Ergebnisses im September 2024, BMVg und EKD)
- Vorstellung der Ergebnisse der Studie „Rolle der Chancen von Frauen in der Bundeswehr“:
- Ungleichheit nimmt nach oben hin zu
- Frauenanteil in Deutschland: nur im Sanitätsbereich über 30 %
- in Bw: 1195 (5 Frauen), 2000 (4500 Frauen), 2023 (24000 Frauen); heute Sanitätsbereich 7 % A16 und höher
- schlechtere Beurteilungen von Frauen (Schwanger, …)
- Frauen sehen das Thema Vereinbarkeit von Familie/Dienst mehr im Fokus
- Veränderung der Organisationskultur als Führungsaufgabe (Chancengerechtigkeit)
Podiumsdiskussion
Hans-Ulrich Gerland (Leitender Beamter im Amt der Wehrbeauftragten)
OTL Hirschböck (BMVg bei der Beauftragten Familie und Dienst)
- Kaltstartfähigkeit i.R. Landes- und Bündnisverteidigung versus Vereinbarkeit Familie/Dienst möglich?
- Wehrbeauftragte: Unterschiedliche Eingabe /Versetzungen, Betreuung, …) – Verständnis bei den Vorgesetzten
- Diskussion bzgl. eigene Kindergärten Bw – Belegrechte in der Kommune
- Vorschlag: Aufnahme der Vereinbarkeit von Familie/Dienst in Befehle (Übungs-)
- Wahrnehmung der Bw in der Gesellschaft; Bedeutung der Kinderbetreuung in der Gesellschaft
- Verantwortung von Kommune und Gemeinde
Impulsvortrag vom Führungsstab der Streitkräfte „Betreuung und Fürsorge“ (OTL i.G. Schmäl, FüSK III)
- Schwerpunkt „Abschreckung“
- Veranstaltung „Bw im Dialog“ 2023: Workshop 5 Sozialdienst – Angebote sind bekannt, aber nicht präsent (Angebot in Fläche, Angebot vor Ort)
- Information erfolgt an Führungspersonal im Rahmen der Inneren Führung (Kommandeure, Chefs, KpFw)
- Hinweis auf Newsletter Betreuung und Fürsorge (YNSIDE)
- Betreuungsorganisation: 163 Dienstposten von 135 DP (84 %)
- Familienbetreuungsorganisation (1 Leit-FBZ, 32 FBZ, 27 FBSt): Informationsdrehstelle; die Familien müssen mitgenommen werden
- Projekt Kinderferienbetreuung 2023 an 10 Standorten; Ziel der Verstetigung des Bedarfs ist vorhanden
- Kasinokonzept ist genehmigt, aber an Bedeutung nach unten gerutscht
- Änderung der Vorschriftenlandschaft, Betreuung und Fürsorge: Grundbetrieb – Besondere Lagen
- „Betreuungswaage“: Sicherstellen der Kommunikation, Daten aktuell halten
- Hinterbliebenen- und Gefallenenwesen: Volksbund Dt. Kriegsgräber, Wald der Erinnerung, Marsch zum Gedenken
- AR Psychische Fitness (seit 01.11.2023 in Kraft): Erhalt und Steigerung der Psychischen Fitness von Soldatinnen und Soldaten (Personelle Einsatzbereitschaft); Dokumentation belastender Ereignisse
- Netzwerk der Hilfe: Tag des Netzwerks der Hilfe 2023, Vollversammlung Netzwerk der Hilfe
- „Angebote müssen dort bekannt sein, wo sie gebraucht werden!“
Die nächste Tagung zu diesem Thema soll es im nächsten Jahr geben, vom 13.11.2024 bis 15.11.2024.
Ich möchte mich auf diese Weise bedanken für eine sehr interessante und gelungene Tagung.
Sehr gefreut hat mich, dass man sich mit Soldatinnen und Soldaten im Dienstgrad Oberstabsgefreiter bis Oberstleutnant unterhalten konnte. Vor allem die Erfahrungen aus der Truppe zu hören, war sehr wichtig. Sehr gut war auch der „bunte Strauß“ an Referenten. Der Austausch mit den Bundestagsabgeordneten war a.h.S. zu kurz. Wichtig ist der dringende Austausch des Ministeriums, der Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit den Soldaten/Soldatinnen aus der Truppe (nicht nur im Ministerium, in den Ämtern oder Kommandos drückt der Schuh, sondern vor allem in der Kompanie/im Bataillon). Die Vereinbarkeit von Familie/Dienst kann in Ämtern/Kommandos mit Telearbeit, mobilem Arbeiten viel leichter umgesetzt werden; in der Truppe werden viele zu viele Überstunden angehäuft, die zum Großteil nicht abgebaut werden können. Bei der Tagung wurde deutlich, dass der Schwerpunkt bei Vereinbarkeit von Familie/Dienst neben der Kinderbetreuung immer mehr auch die Pflege von Angehörigen (z. B. Demenz/Alzheimer) sein sollte. Dem kann ich mich nur anschließen!
Raab, Oberstlt