Von Juli bis November 2011 war ich mit den Soldatinnen und Soldaten des 26. Deutschen ISAF- Kontingentes in Afghanistan. Für viele von uns war es eine fordernde und anstrengende, aber auch eine sehr interessante und prägende Zeit. Vieles haben wir erlebt und durchlebt, manches auch ertragen müssen. Diese viereinhalb Monate waren reich an Begegnungen und Erfahrungen, aber eben auch eine Zeit des Verzichtes.

Ja, wir mussten in der Tat auf Vieles verzichten, was uns in der Heimat lieb und teuer war und ist.

Allem voran mussten wir auf unser Familien verzichten, auf unsere Freunde, kurz gesagt auf die Menschen die in unserem Herzen eine besonderen Platz eingenommen haben. Verzichten mussten wir auch auf unsere gewohnte Umgebung und unser gewohntes Umfeld – jeder versucht sich doch zuhause einen Ort zu schaffen, der einem gefällt und auch gut tut. „Home sweet home“, so sagt man dazu gewöhnlich. Daran war in Afghanistan selbstverständlich so nicht zu denken. Natürlich haben wir uns irgendwie eingerichtet und uns auch schöne und gemütliche Ecken geschaffen. Dasselbe wie zu hause aber war das nicht. Auch auf unsere gewohnte Kleidung mussten wir verzichten. Wir hatten die Wahl zwischen vier identischen Feldanzügen. Keine große Abwechslung also. Der Tagesablauf war ein anderer, unsere Hobbies konnten wir ebenfalls nicht in gewohnter Weise pflegen, einige von uns haben vier Monate nur Sand gesehen und keinen richtigen Baum. Ja, diese Liste ließe sich durchaus noch fortsetzen.

Auf der anderen Seite haben mir viele Soldatinnen und Soldaten in Gesprächen mitgeteilt, dass sie gerade durch diesen vielfachen Verzicht auf Gewohntes und Geliebtes einiges auf einmal mit etwas anderen Augen sehen würden. Ihr Blick auf das Wesentliche im Leben wurde wieder einmal geschärft. Die vielen Dinge, die uns zu Hause häufig so wichtig sind und uns in Beschlag nehmen, spielen eigentlich bei genauem Hinsehen gar keine so große Rolle. Was wirklich zählt im Leben ist: sich Zeit zu nehmen für die Familie, die Beziehungen zu unseren Freunden zu pflegen, die Schönheit der Schöpfung zu erfahren, wirklich zu leben und nicht nur gelebt zu werden, auf Spurensuche zu gehen nach dem, was unser Leben wirklich trägt, stärkt und wertvoll macht.

So war diese Erfahrung des Verzichtes die Chance,
wieder die richtigen Schwerpunkte zu setzen, das tägliche Verhalten zu reflektieren und das Leben wieder neu auszurichten. So gesehen, war diese Zeit des Einsatzes im wahrsten Sinn des Wortes eine Art Fastenzeit. Genau diese Besinnung auf das Wesentliche im Leben, das will die Fastenzeit sein, das macht die Fastenzeit aus. Dabei geht es wirklich nicht darum, dem Idealgewicht oder der Traumfigur wieder einen Schritt näher zu kommen. Es geht im Tiefsten um die ehrliche Reflektion unseres täglichen Handelns und Tuns. Erst so machen die vierzig Tage der Fastenzeit Sinn und verhelfen uns zu einem erfüllten Leben, das uns Jesus von Nazareth einst verheißen hat.

Und das Gute ist: eigentlich braucht man gar nicht bis nach Afghanistan in den Einsatz zu gehen, um diese Erfahrung machen zu können. Die Fastenzeit bietet uns diese Möglichkeit auch in der Heimat an und zwar jedes Jahr aufs Neue. Das Gute dabei ist die jährliche Wiederholung dieser besonderen Zeit. Denn wie auch nach dem Einsatz im Alltag viele gute Vorsätze wieder verblasst sind, so bedarf es auch in der Heimat immer wieder eine Zeit der Besinnung auf das Wesentlich im Leben. In diesem Sinne möchte ich sie in diesem Jahr ermutigen, die vierzig Tage der Fastenzeit in erster Linie als Geschenk und Chance zu betrachten und weniger als harten Verzicht und wünsche Ihnen eine ihr Leben verändernde Vorbereitung auf das Osterfest, das ja vor allen Dingen ein Fest des Lebens ist.

Ihr Militärpfarrer Andreas Vogelmeier